.....aber es gibt kritische und kreative Geister die Lösungen anbieten.
Offener Brief an den Intendanten des WDR, Tom Buhrow
Lieber Tom Buhrow,
Ich war nicht wenig erstaunt, von Ihnen vor ein paar Tagen einen persönlich an mich adressierten und von Ihnen selber unterschriebenen Brief erhalten zu haben. Sicherlich haben Sie diesen Brief auch an einige andere geschickt, dennoch fühle ich mich vom Inhalt des Briefes natürlich direkt angesprochen.
In dem Brief begründen Sie, warum Sie bis zum Jahr 2020 gezwungen sind, 500 Planstellen in Ihrem Sender einzusparen. Allein dies ist natürlich schon eine sehr dramatische Nachricht, die im Sommerloch hoffentlich nicht untergehen wird. Dass der WDR – sicherlich einer der wichtigsten Rundfunk- und Fernsehstationen der deutschen Nachkriegsgeschichte – zu so einer drastischen Maßnmahme gezwungen ist, wird für viele ein Schock sein. Da Sie am Schluss Ihres Briefes zum Dialog auffordern, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen und dies im Rahmen meines Blogs, dem “Bad Blog of Musick” tun.
Zuerst einmal möchte ich betonen, dass ich mich in keiner Weise über Ihren Brief lustig machen will. Natürlich wäre es leicht, hier den Korinthenkacker zu spielen, und einzelne Satzwendungen Ihres Briefes herauszupicken oder dessen sicherlich vorauseilend entschuldigende Intention zu kritisieren. Bei aller Kritik, die ich hier im Blog immer wieder am öffentlich-rechtlichen Rundfunk übe, eines sollte doch klar sein: ich stehe komplett hinter der Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkes. Ich glaube auch nicht, dass es für einen Intendanten wie zum Beispiel jüngst Herrn Boudgoust vom SWR eine erstrebenswerte und angenehme Aufgabe ist, Kürzungen wie eine Orchesterfusion zu verkünden, und Sie selber werden an der Kürzung der Planstellen sicherlich auch keine persönliche Freude haben, davon gehe ich mal aus. Ich nehme auch Ihren Wunsch zum Austausch ernst (sonst würde ich das hier nicht schreiben) und begrüße auch Ihre Initiative eines solchen Briefes.
Diesen Worten lasse ich jetzt auch kein “dennoch” folgen – ganz im Gegenteil. Stattdessen würde ich Ihnen gerne ein paar Ideen und Gedanken unterbreiten, die mir beim Thema Rundfunkpolitik heute einfallen. Sicherlich haben Sie das eine oder andere auch schon diskutiert, aber dann würde mich interessieren, was aus diesen Diskussionen geworden ist, oder ob sie vielleicht noch akut sind.
1) Das mysteriöse Verschwinden der Rundfunkgebühren
Sie schreiben der WDR profitiere in keiner Weise von der Gebührenreform. Weiterhin schreiben Sie, der rechnerisch inzwischen nachgewiesene Überschuss dieser Reform ruhe nun auf irgendwelchen ominösen “Sperrkonten”, um die anstehende Senkung des Beitrags zu finanzieren.
Nun gehe ich mal davon aus, dass diese Sperrkonten nicht im Besitz von Uli Hoeneß sind, wie ich hier scherzhaft vermutete. Aber dennoch ist es für den Normalbürger schwer zu verstehen, dass die anstehende Beitragssenkung von einem Euro einen solchen finanziellen Einbruch bedeuten wird, dass man hierfür schon einmal massiv mit einem Milliardenüberschuss vorbauen muss. Des weiteren ist es komplett unverständlich, dass der Beitrag überhaupt gesenkt wird, wenn er ja dann doch nicht reicht. Ich auf jeden Fall zahle gerne meine Rundfunkgebühren, wenn sie auch wirklich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwendet werden, und nicht auf Sperrkonten landen. Wegen mir muss man den Beitrag auch gar nicht verringern! Ich zahle gerne einen Euro “zu viel”, wenn ich dafür nie, nie mehr von Orchesterfusionen und – kürzungen hören muss. Ich schreibe ja genauso wenig gerne darüber wie Sie sicherlich auch ungerne Stellen kürzen.
Wem gehören diese ominösen Sperrkonten? Wer verfügt über sie? Ist es nicht gegen das Grundgesetz, wenn für den Rundfunk bezahlte Rundfunkgebühren diesem gar nicht zugute kommen, sondern stattdessen irgendwelche finsteren Herren darüber verfügen, dass man sie eben – ätschebätsch – jetzt erst einmal nicht weitergibt? Aus irgend welchen nicht ersichtlichen Gründen? Das ist dann doch ein Riesenskandal, denn die Rundfunkgebühren heißen ja Rundfunkgebühren, nicht Sperrkontoauffüllungsgebühren. Wessen Schwachsinnsidee ist das? Und wenn die Einnahmen bald leicht sinken – es sind doch immer noch Einnahmen und keine Schulden? Warum muss man Einnahmen “vorfinanzieren”?
Wenn ich Intendant wäre, und vor solche Tatsachen gestellt würde, dann würde ich über nichts anderes in meinem Sender berichten. Dann würde ich zusammen mit meinen Mitarbeitern auf die Straße gehen und protestieren. Denn Tatsache ist: Im Moment scheint NIEMAND in ganz Deutschland diese ganze Gebührenreform zu verstehen, und vermitteln kann sie schon einmmal gar niemand.
2) Die Armutslüge
Und wenn wir schon einmal beim Thema Geld sind – Was ich auch nicht verstehe: Wir leben in einem der reichsten (und zunehmend reicheren) Länder der Welt. Wir sind ökonomisch so gut aufgestellt, dass uns die amerikanische Zeitschrift “Newsweek” sogar gerade in Aussicht gestellt hat, das kommende Jahrhundert maßgeblich zu dominieren. Auch unsere Staatsverschuldung ist im internationalen Vergleich lächerlich gering. Aber ständig höre ich: Wir müssen sparen! Wir müssen konsolidieren! Die fetten Jahre sind vorbei!
Ich weiß gar nicht mehr, wann diese fetten Jahre eigentlich waren, denn eigentlich heißt es in Deutschland immer, dass wir kurz vor dem Ruin sind. Eines weiß ich aber sicher: Dass es Zeiten gab, in denen Deutschland wesentlich finanziell instabiler war als heute, man sich aber gerne seine hervorragenden Rundfunksender (und Orchester. Und Theater. Und Opernhäuser. Und, und, und…) leistete und dies auch nie in Frage stellte. Warum also ausgerechnet jetzt? Und kommt mir nicht mit dem Argument, dass die ganzen Mehreinnahmen von Steuern und Wirtschaft noch gar nicht in den Finanzhaushältern angekommen sind – das ist für mich Bullshit, denn diese Einnahmen gab es ja faktisch schon. Außer man hat sie auf Sperrkonten überwiesen.
Und wieder frage ich: Auf welche Konten verschwinden die ganzen Mehreinnahmen unseres Landes der letzten Jahre denn eigentlich? Hat da die Mafia ihre Finger im Spiel? Nur eines ist sicher: Bei den sozial schwächer gestellten Bürgern unseres Landes landen sie nicht, und auch nicht bei unseren Kulturinstitutionen. Dabei sollten uns beide sehr am Herzen liegen – denn Priorität sollte sicherlich sein, dass es unseren Bürgern gut geht. Und dazu gehört neben Nahrung und medizinischer Versorgung eben auch Bildung und Kultur. Dass diese beiden Dinge definitiv was bringen, kann man überall auf der Welt leicht nachweisen, nämlich dort, wo es KEINE Bildung und Kultur gibt. Da herrschen dann meistens keine sehr angenehmen Zustände.
Für mich stehen die öffentlich-rechtlichen Sender wie auch der WDR symbolhaft und exemplarisch für eben dies: Bildung und Kultur. Und nicht für “massenattraktive Programme”, bei denen ich die Masse erst für dumm erkläre und dann auch noch dumm unterhalte. Da reicht es nicht, wenn sie als Trostpflaster für den Abbau von Kultur in Ihrem Sender die “europapolitische Berichterstattung” in Zukunft fördern wollen (wie Sie in Ihrem Brief schreiben). Nein, berichten Sie doch lieber darüber wie es sein kann, dass Deutschland sich im Moment des höchsten Wohlstandes zwar alles trauen und riskieren könnte, auch Experimente….aber vor der Idee eines flächendeckenden Kultur- und Bildungsprogramms in seinen Sendern, das nie und nicht auf die Quote schielen muss, verzagt und kapituliert.
3) Das erste staatliche Internetorchester
“In Gefahr und höchster Not, bringt der Mittelweg den Tod” – diese alte Weisheit scheint immer vergessen zu sein, wenn man vor einer Krise steht. Und vor dieser stehen Sie ja: Man enthält Ihnen Rundfunkgebühren vor, die Ihnen zustehen. Man kürzt Sie links und rechts zusammen, obwohl Sie als Sender stets fantastische Arbeit leisten und zu Recht von allen bewundert werden. In einem solchen Moment hilft keine Vorsicht, sondern die Flucht nach vorne. Dazu gehört zum Beispiel ein Orchester zu gründen anstatt eines zu streichen (wie es die Kollegen der anderen Sender es gerade gerne tun). Haben Sie Mut und verfolgen Sie neue Konzepte – zum Beispiel das von mir schon lange geforderte Erste Staatliche Internetorchester. Ein solches Orchester könnte sich nämlich an genau die jenigen Hörer und Zuschauer wenden, die die meisten angeblich schon aufgegeben haben, nämlich die ganz jungen! Es gäbe so viel an Formaten und Ideen, die man auf diese Weise realisieren könnte, eben nicht nur das pure Abfilmen eines Konzertes sondern eine neue Form von Interaktivität. Das ist noch nie versucht werden, und beim WDR wäre eine solche Idee gut aufgehoben! Wagen Sie es – gerade jetzt!
4) Konkurrenz mit youtube und co.
Und da kommt mir noch gleich eine weitere Idee: Warum überlässt ein Sender wie der WDR, mit seinen geradezu legendären Archiven von historisch bedeutenden und fantastischen Aufnahmen und Videos, einem illegalen Abzockbetrieb wie youtube komplett das Feld? Wäre ich Intendant, so würde ich folgendes vorschlagen: stellt die kompletten Archive des WDR ins Netz, in fantastischer Qualität und mit hochwertigen Such-und Findfunktionen. Schaltet Werbung davor, um das Ganze zu finanzieren. Oder erschafft bezahlbare Premium-Accounts und Abos, um das Ganze zu tragen. Denn mal ehrlich: Was gäbe es für einen Grund, mir auf youtube mühsam eine qualitativ schlechte und illegal reingestellte Kopie einer WDR-Produktion zu suchen, wenn ich dasselbe völlig legal und staatlich gefördert direkt von Ihnen haben kann? Bei youtube findet man nur Fragmente und Treibgut, wenn ich das Original genauso leicht und besser haben kann, wäre das sicherlich erfolgreich! Und Sie würden den Bildungsauftrag des Grundgesetzes nicht nur erfüllen sondern sogar übererfüllen!
5) Jetzt erst Recht!
Das wäre der mir wichtigste Punkt: Gerade in Zeiten des Zagens und Zauderns muss man Zeichen dagegen setzen. Wenn ich mir das heutige Fernsehen und den heutigen Rundfunk anschaue, so sehe ich sehr oft Vorsicht und Angst, anstatt Wagemut und Verve. Warum geben zum Beispiel öffentlich-rechtliche Fernsehredakteure so wenigen wirklich innovativen Formaten die Chance, anstatt entweder auf geklaute Ideen von den Privaten oder abgenutzte Uraltformate zurückzugreifen? Warum versucht man nicht mal was wirklich Schräges?
Qualität muss nicht viel Geld kosten, man muss halt nur den Verrückten und wirklich Kreativen einen Raum geben, dann kommt schon mal ein deutsches “Twin Peaks” oder “True Detective” raus, und das wäre doch wirklich schön, oder? Stattdessen haben wir endlose Folgen von abgeranzten Soaps, bei denen in jeder Folge exakt die gleichen schlechten Dialoge kommen. Umso unerklärlicher dann, dass extrem erfolgreiche vergangene Formate nach wie vor als Ideen brach liegen und in Archiven versauern. Seien Sie doch derjenige, der ein solches Projekt aus der Taufe hebt und damit einen internationalen Erfolg hat, der dem Sender auf Jahrzehnte hinaus goldene Jahre bescheren wird. Seien Sie derjenige, der endlich wieder “Raumpatrouille Orion” auf den Bildschirm bringt, in einer neuen Version mit neuen Gesichtern und neuen Ideen, so wie weiland “Star Trek – The Next Generation” (und das war eine wahre Goldgrube). Millionen von Fans würden es Ihnen danken! Und es wäre eine großartige Geste gegenüber dem gerade verstorbenen Dietmar Schönherr. Commander McLaine forever! Es gibt sicherlich noch mehr Ideen dieser Art. Die englische BBC (aus einem Land, das wirtschaftlich nicht so gut dasteht wie wir) macht uns ständig vor, wie man innovativ sein und dennoch wirtschaftlich gut arbeiten kann.
Und denken Sie an den Rat, denen ich Ihnen jetzt gebe: Wenn Ihnen ein Redakteur, ob vom Rundfunk oder vom Fernsehen, sagt: “Das können wir nicht machen”, dann überlegen Sie sich, ob nicht vielleicht genau dies der Grund sein sollte, es zu machen! Das mag nicht immer zutreffen, aber meine Ahnung sagt mir: in 95% aller Fälle schon!
Was auch immer Sie tun werden, verzagen Sie nicht. Gerade jetzt müssen wir wagen und erhalten – nicht reparieren und nur noch verwalten. Letzteres führt irgendwann in den Untergang. Gerade jetzt müssen sich die öffentlich-rechtlichen Sender wieder neu erfinden. Erfinden Sie mit und gehen Sie als der Intendant des WDR in die Geschichte ein, der den Sender in eine ungeahnte Blüte führte.
Ich weiß, das ist alles leicht dahin gesagt von jemandem, der nicht auf Ihrem Stuhl sitzt. Aber man wird ja wohl noch mal träumen dürfen. Gerade dann, wenn es scheinbar heute niemand mehr tut, sondern sich alle mit einer zunehmend verhärmten und freudlosen Realität abgefunden haben, in der es fast allen gut geht, man sich aber gar nichts mehr traut.
Dagegen könnten wir doch etwas tun. Und wenn ich dabei helfen kann, gerne!
Ihr Bad Boy,
Moritz Eggert
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