Im Rahmen der Renovierung und Erweiterung des Alten Rathauses in Potsdam wurde am 15. Dezember 2008 die Statue des "Atlas mit Weltkugel" wieder auf die Spitze des Turmes gesetzt.
Mein guter Freund Reiner Becker, der den Umbau geplant und umsetzt hat mich gebeten zu diesem Anlass eine kleine Rede zu halten.
Hier nun die Rede:
Einen schönen guten Tag!
Ich möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Hans Brückner, ich bin Schauspieler und lebe seit knapp 19 Jahren in Berlin.
Atlas!
Klar, kann ich das und das war der Startschuss zu meiner Reise in die Geschichte zum Atlas und von dieser Reise werde ich Ihnen nun erzählen.
Was wusste ich vom Atlas in diesem Augenblick?
Na, das ist der Kerl der die Weltkugel trägt, ein Nachschlagewerk über die Kontinente und Länder dieser Welt.....
Mmmhhhh und und ....
Da war dann nicht mehr viel um ehrlich zu sein, dass war es dann auch schon!
Das Recherche angesagt war wusste ich ja, aber es hat mich doch erschreckt wie wenig ich vertraut war mit Atlas und seiner Geschichte. Mein erster Blick war natürlich zu Wikipedia.
Atlas war in der griechischen Mythologie einer der Titanen, gezeugt von Iapetos mit Okeanide, Bruder von Epimetheus, Mann der Pandora, Menoitios den Überheblichen und Prometheus den Freund der Menschen. Als Strafe für seine Teilnahme am Krieg gegen die Götter verdammte ihn Zeus dazu, für alle Zeiten den Himmel zu spannen. Die Erde auf den Schultern zu tragen kam erst mit dem Wandel des Weltbildes. Atlas ist der Gatte der Pleione, und mit ihr Vater der Plejaden. Mit einer anderen Gattin, der Hya ist er Vater der Hyaden. Des Weiteren soll er der Vater der Hesperiden, des Hyas und des Hesperos sein. In seiner elften Arbeit sollte Herakles oder Herkules die Äpfel der Hesperiden holen. Atlas konnte nicht an Ladon einem grausamen Reptil vorbei der den Apfelbaum bewachte und Herkules konnte die Äpfel nicht persönlich pflücken, das hat Hera zu verhindern gewusst. Arbeitsteilung war angesagt. Herkules tötet Ladon nimmt den Himmel auf seine Schultern und Atlas pflückt die Äpfel. Berauscht von seiner Freiheit will er die Äpfel selbst übergeben. Herkules bekommt das mit und bittet ihn den Himmel nur noch einmal für einen kurze Augenblick zu halten da er es sich bequem machen möchte. Atlas übernimmt den Himmel noch einmal und Herkules zieht mit den Äpfeln davon.
Nach Platons Kritias war Atlas ein Sohn von Poseidon und der Keito und der erste König von Atlantis.
Er ist nicht der Namensgeber des Werkes von Gehardt Mercator, 16.Jahrhundert, hierbei wurde dem König von Mauretanien gedacht, er war zu seiner Zeit einer der belesensten und weisesten Männer.
Oh, mein Gott was für ein Loser, dachte ich mir. Legt sich mit den falschen Freunden, mit den falschen Leuten an und bekommt voll eins auf die Mütze; ist hilfsbereit und ein bisschen beschränkt. Mensch Atlas, wie konntest du nur die Welt wieder nehmen von so’nem Kerl wie Herkules, aber der Reihe nach.
Um mir ein besseres Gefühl zu geben ob meiner Unwissenheit, begann ich meine Freunde mit Atlas zu malträtieren. Na, was weißt du denn über Atlas? Und siehe da die wussten auch nicht mehr als ich. Einige konnten noch mit Fachwissen glänzen. Die Freundin meines Bruders sagte spontan „Dierke-Atlas“, das Abi in Baden-Württemberg ist gerade mal zwei Jahre alt. Thomas sagte: „Das Atlas-Gebirge in Marokko, da war ich gerade im Urlaub“. Freund Frank, seines Zeichen Neurochirurg sagte – erster Halswirbelkörper und Kim, der Barkeeper und begnadeter Hobbyfußballer, glänzte noch mit Fachwissen der besonderen Art: „Atlas Delmenhorst, Fußballverein!“
Gut, die ersten Schritte der Recherche sind getan.
Am 15. Oktober hatte ich dann die Möglichkeit mit Reiner Becker und den Mitarbeitern des Kommunalen Immobilienservice der Stadt Potsdam, Herrn Richter, Frau Hesse sowie Herrn Oelke unseren Atlas in Köpenick bei der Firma Ignaszewski in Augenschein zu nehmen. Da stand er dann oder besser gesagt da hing er in seine Einzelteile zerlegt und frisch sandgestrahlt. Der Torso getrennt von Armen und Beinen, ohne Umhang. Und die Welt baumelte an einem dünnen Seil! Wir alle, die bei diesem Termin dabei waren, konnten es sich nicht nehmen lassen einmal die Welt von innen anzusehen und ich sage ihnen sie ist anders als gedacht! Ich schaute ihn mir also ganz genau an, dachte ich. Ich sah ihn mir an mit meinen Augen der Überheblichkeit, Mensch Atlas - Du Loser! Und in der Tat, so wie er da hing machte er keinen überzeugenden Endruck auf mich. Nachdenklich, in sich gekehrt und sehr verletzlich, aber all das sollte ich erst später verstehen.
Mensch, Reiner so kann ich doch keinen Vortrag halten. Da kommt doch nix bei raus um deine Worte zu benutzen. Also muss mehr gelesen werden, nur was, war jetzt die Frage. Bei solchen Gelegenheiten ziehe ich immer gerne Fachpersonal in den Kulturtempeln unserer Zeit zu Rate. Es wurden also Filialen von größeren und kleineren Buchhandlungen, die mir so unter kamen, heimgesucht. Immer die Frage auf den Lippen: Ich suche Literatur zu Atlas und nur zu Atlas. Es ist schon erstaunlich wie wenig es da gibt von dem Menschen der unsere Welt auf seinen Schultern trägt, oder besser gesagt den Himmel für uns spannt. Es gibt hunderte von Büchern über die griechischen Götter. Enzyklopädien mit Schautafeln wer, wann, wo mit wem und warum Kinder gezeugt, Menschen gemordet, Intrigen gesetzt, Kriege angezettelt und sonstige Schlechtigkeiten oder mal was nettes in die Welt gebracht hat.
Durch eine kurze Begegnung an einem Sonntag Nachmittag mit einer bezaubernden Dozentin der Humboldt Universität wurde ich auf Ovid und seine Metamorphosen aufmerksam. Oh ja, auch das geht: „Flirten leicht gemacht mit ATLAS“. Nun brauchen sie keine Angst haben, wir werden uns jetzt nicht mit Hexametern rumärgern obwohl... - nein auf Deutsch klingt das nicht so schön.
Das einzige Buch, das ich fand, ist von Jeanette Winterson „Die Last der Welt“. Und diese Geschichte ist mein persönlicher Wendepunkt in der Beziehung zu Atlas.
Jeanette Winterson beschreibt Deinen Lebensweg mit einer Bewunderung für Dein Schicksal dem ich mich nicht entziehen konnte. Auf einmal wurde mir klar das dies spannen des Himmels keine Bestrafung für Dich ist, sondern Deine Berufung und dies hast Du erkannt als Du mit Hera Deine Unterhaltung unter dem Apfelbaum hattest. Der ganze Baum war voller Äpfel aber Du hast nur drei gesehen Vergangenheit, Zukunft und die Gegenwart, konntest also nur diese drei pflücken. Der schwerste Apfel, die Gegenwart, hat Dir fast alle Kraft geraubt und währe Dir beinahe aus den Händen gerutscht. Und nun verstand ich Deinen traurigen, in sich gekehrten Gesichtsausdruck!
Nachdem dies geklärt war konnte ich mich daran machen herauszufinden warum und wie Du nach Potsdam gekommen bist. Mein erster Gedanke dazu war - na ist doch klar – wegen der Hesperiden - Gärten und Schlösser! Da hat sich doch wirklich jemand sehr viel dabei gedacht. Ach, was bin ich doch für ein Romantiker und Träumer. Die Realität sieht doch meist profaner aus. Bei der Wirklichkeitsfindung war mir Herr Wittenberg vom Stadtmuseum Potsdam sehr behilflich.Im Rahmen der Erweiterung des Rathauses wurde auf Befehl des Königs Friedrich Wilhelm I. der erste Stock des Amsterdamer Rathauses kopiert und auf das „Alte Rathaus“ gesetzt und da Du dort bereits standest bist Du also auch hier nach Potsdam gekommen. Deinen Platz hast Du 1754 eingenommen. Die Damen die um Dich herum drapiert sind, sind nicht, wie man meinen könnte, Deine Töchter. Es sind sechs Tugenden: von links nach rechts die Wachsamkeit, die Standhaftigkeit, der Überfluss an Gütern, die Gerechtigkeit, die Kaufmannschaft und die Vorsichtigkeit. Wer hat Dich erschaffen? Die erste figürliche Abbildung wurde von Benjamin Gießen aus Blei gefertigt und von dem Maler Mener vergoldet. 22 Jahre später war die Last der Welt zu schwer und sie rutsche Dir von den Schultern. Der Tischler Wohler fertigte nun ein Modell aus Holz an auf welches der Kupferschmied Johann Friedrich Jurn eine Kupferschicht treiben konnte. In den 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts wurdest Du noch einmal herunter geholt und restauriert.
Jetzt stehst Du also wieder hier. Herrscher von Atlantis, Vater der Hesperieden, Bruder des Prometheus, Sohn des Poseidons. Du wirst weiter klaglos den Himmel spannen, wohl wissend was auf uns Menschen zu kommen wird. Ich danke Dir für die schönen Sonnenaufgänge, die berauschenden Farbspiele die Du in den Himmel zauberst und das Du es von Zeit zu Zeit auch mal regnen und schneien lässt. Mein Blick nach oben hat sich verändert!
Danke!
(Foto: wikipedia/florian s.)
3 Kommentare:
GROOOOOßßßßßßaaaarrrrrtttttiiiggg!
UND DANN NOCH DAS OP-SIEB VON A NACH B GEBRACHT. NOCHMALS 1000 DANk!
Ich habe zwar null Ahnung von einer guten Rede (und werde wahrscheinlich nie im Leben eine halten), aber mir gefällt, was ich lese!
Gerade erst gelesen. *schäm*
That rules!
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