Montag, 3. August 2009

Du bist bei mir!


Zugfahrten haben auf mich immer eine beruhigende Wirkung. Ich lasse mich in meinen Sitz fallen und schaue erstmal zum Fenster raus, da fliegen mir die Gedanken nur so weg von hier nach da und dann nach dort und wieder zurück und das ganze dann noch mal von vorne, weil’s grad so schön war. Hat es sich dann ausgeflogen setzt für einen kurzen Zeitraum die Langeweile ein. Nach dem ich mich jetzt mittlerweile ein bisschen besser kenne habe ich für diese „schwierige“ Zeit mir immer ein, zwei DVD’s zu recht gelegt und dann habe ich noch den wunderbaren Ordner „noch anschauen“. Hierin befinden sich immer Clips, Vorträge und was mir sonst noch so aufgefallen ist und ich einfach nicht die Zeit dafür finde sie mir anzusehen. Und in diesem Ordner habe ich dann diesen Beitrag entdeckt.



Und es kam wie es kommen musste, ich flennte Rotz und Wasser.... Benjamin Zander hält einen grandiosen Vortrag über klassische Musik. Er erklärt wie die Musik sich aufbaut und welche emotionalen Tiefen erreicht werden können. Ich stellte mir also meine Großmutter vor und er begann zu spielen und nach den ersten Tönen warst dann auch Du wieder da!

Ich kenne Dich nicht, ich weiß nicht wie Du heißt, wo Du gewohnt hast, wie groß oder wie kleine Du warst, welche Haarfarbe Du hattest, ich weiß nur das Du verheiratet warst und Mutter von zwei kleine Kinder bist. Was macht uns aber so vertraut? Das ich Dir Knochenmark gespendet habe? Vielleicht... Ich glaube aber eher das es etwas ist das Du mir gegeben hast. Ein Gefühl das ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Ich war verantwortlich für einen anderen Menschen und das auf Gedeih und Verderb. Ich konnte nicht mehr einfach so lala um die Häuser ziehen, wie ich es auch heute noch gerne mache. Von einem Augenblick auf den Anderen musste ich meinen wirren Geist zügeln. Ich kann mich noch gut daran erinnern wie ich mit besoffenem Kopf morgens um halb vier die Briefe der DKMS öffnete, den letzten zu Erst! Scheiße schoss es mir durch den Kopf – Hans das hast Du aber gründlich verbockt!

Der erste Brief war von Ende Mai 2002 und man bat mich um Rückruf ob ich denn noch zu einer Knochenmarktransplantation bereit wäre. Die folgenden Briefe waren da dann schon etwas fordernder. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anbringen, dass ich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe von New York und dann in Kiew gedreht habe, sprich ich war zwei Wochen nicht zu Hause. Aber spätestens Mitte Juni hätte ich antworten können. Hab ich nicht weil ich ziemlich durch den Wind war und aus heutiger Sicht war es Kinderkacke. Gleich um acht Uhr telefonierte ich mit der DKMS und dann nahm alles seinen Gang.

Normalerweise beträgt die Zeit von Anfrage bis zur Transplantation drei Monate bei Dir war es aber etwas dringlicher. Also erfolgte der Eingriff Anfang August. Ich hatte noch sechs Wochen Zeit meinen Körper und meinen Geist darauf einzustellen. Will sagen, keinen Alkohol, viel Sport, regelmäßiger Schlaf um Dir das bestmögliche Material anzubieten.

Zwei Wochen vor dem Eingriff bekam ich noch einen Anruf in dem ich gefragt wurde ob ich denn noch zu meiner Entscheidung stehen würde, denn nach meinem JA würdest Du auf die Behandlung vorbereitet. Dein komplettes Immunsystem würde platt gemacht und wenn ich dann abspringen würde, wäre es Dein sicheres Todesurteil gewesen. Zwei Wochen bin ich dann als „rohes Ei“ durch die Gegend gerannt. Nur nicht noch irgendwo anstoßen, Obacht hier kommt kostbare Fracht. Und ja seit dieser Zeit kann ich mir vorstellen wie es ist schwanger zu sein. Der Eingriff wurde dann in Dresden vorgenommen. Man hatte mir anstatt der 750 ml Knochenmark 1500 ml entnommen, weil soviel da war und es in einem guten Zustand gewesen sei. Gleich nach dem Eingriff hat man den Saft zu Dir geflogen ihn aufbereitet und Dir dann infundiert. Ich durfte am Abend das Krankenhaus verlassen bin mit dem Zug nach Berlin gefahren und habe mit Frank und Mark die Flasche Wodka aus Kiew in der Victoria-Bar geköpft. Ich hatte noch zwei, drei Wochen ein erhöhtes Schlafbedürfnis, bin schnell außer Atem gekommen und mein Hämatom am Gesäß hat alle Regenbogenfarben durchlaufen. 

Ich war glücklich!

Mitte Dezember 2002 erreichte mich die Nachricht das Du den Kampf verloren hast. Ich hätte Dir gerne gesagt wie glücklich Du mich gemacht hast um wie viel reicher ich nun bin!

Du bist bei mir!

Danke.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh Hans, das ist ein bewegender Beitrag, da stehen mir diverse Tränen im Knopfloch.

Aber gut, dass du darüber schreibst. Ich bin auch seit Jahren bei der DKMS, gebraucht wurde ich noch nie, aber ich hoffe, auch ich kann eines Tages helfen.

Lilly hat gesagt…

Hans, du bringst mich sehr zum Nachdenken. Wie oft visiert man an zu helfen, um dann doch wieder faule Ausreden zu finden...

1500ml verloren, aber so viel mehr zurückbekommen...
Ich ahne es zu verstehen...

Jekylla hat gesagt…

Mir hat es direkt eben den Atem verschlagen, Deine Schilderung war so intensiv, danke dafür.

Ich war auch registriert, kann aber leider nicht mehr spenden, hätte es aber jederzeit getan.

Gabriel hat gesagt…

Gut!

Sehr, sehr gut!

Frau Fabelhaft hat gesagt…

Wow! Da bloggt er heimlich wieder und dann gleich so etwas bewegendes.

Ziehe meinen Hut vor dir! Absolut

Anonym hat gesagt…

Respekt, mein Lieber...
Vor Deinen Worten und Deinen Taten...

Frau Vau hat gesagt…

Meine Tochter und ich haben auch schon den Umschlag hier liegen, um uns endlich registrieren zu lassen. Wird Zeit!
Sehr bewegende Geschichte, die du da erzählst. Jetzt weiß ich noch sicherer, dass es wichtig ist, was wir tun.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich hab Gänsehaut.. Richtig arg.

Alex hat gesagt…

Oh, das geht wirklich nah... Traurig, dass es nicht gut ausgegangen ist. Du musst aber immer sehen, dass es toll war, was du getan hast.
Ich habe, wie du ja bei mir bereits gelesen hast, Stammzellen für einen mir damals Unbekannten gespendet und ehe ich ihn kennen lernen durfte, starb ein sehr guter Bekannter von mir an Leukämie. Das empfand ich irgendwie als unfair. Warum konnte ihm nicht auch geholfen werden? Krebs ist einfach immer unfair und egal, wen es trifft, es ist immer schlimm.