8. Mai [1945] "Den Norwegern ist zu gratulieren." Nach längerem Ausgang kehr' ich
nachmittags in mein Zimmer zurück. Ich mußte zu Fuß gehen - und es war
der Mühe wert, denn ich habe mir hundert Zigaretten, Tabak und Zigarren
geholt, was alles plötzlich pro Mann und Nase gratis zur Ausschüttung
gekommen ist, Zeichen der Zeit im genausten Verstande! - ich mußte zu
Fuß einen weiten Weg, denn die Tramway war überfüllt und später ganz
eingestellt, der offiziellne Sieges- und Friedensfeier wegen. Alle
Glocken läuteten, zehntausende Fähnchen winkten, die Straßen wimmelten
von Menschen … ich ging ganz unbehelligt, eine Aktentasche unterm Arm.
Einmal lachte mich ein norwegischer Arbeiter freundlich an und winkte
mir zu, einen Abschiedsgruß, und zum anderen Mal entschuldigte sich ein
junger Herr überaus höflich, der mich im Gedränge angestoßen hatte. Das
ist Europa. Das sind die Convenus, die nur bei freien Völkern - darunter
versteh' ich solche, wo der Einzelne frei leben kann - gedeihen und so
tief verwurzeln, daß auch die Alteration sie nicht zu lockern und
auszureißen mag.