Dienstag, 5. Mai 2020

Lesen in Zeiten von "Corona" XIII

Auf die Frage was sich geändert hat......

"......Aber, pfui Teufel" - er spie dabei kräftig aus - "ja, pfui Teufel sage ich, was für ein Dreck ziehn sie da über die Leinwand! Eine Schmach ist das für die Kunst, eine Schmach für die Welt, die einen Shakespeare und einen Goethe hat! Erst kam da so ein farbiger Blödsinn mit bunten Viechern - na, das sag' ich noch nichts, das macht vielleicht Kindern Spaß und niemandem Schaden. Aber dann machen sie einen 'Romeo und Julia', und das sollte verboten sein, verboten im Namen der Kunst! Wie das nur klingt, die Verse, als ob sie einer aus dem Ofenrohr quäkte, die heiligen Verse Shakespeares, und wie das verzuckert ist und verkitscht! Aufgesprungen wär ich und davongelaufen, wenn's nicht wegen dem Herrn Graf gewesen wär' der mich eingeladen hatte. So einen Dreck, so einen Dreck zu machen aus dem lautersten Gold! Und unsereins muß leben in so einer Zeit!"

Er faßte das Bierglas, tat einen kräftigen Zug und stellte es so laut zurück, daß es krachte. Seine Stimme war jetzt ganz laut geworden, er schrie beinahe. "Und dazu geben sich die Schauspieler von heut her - für Geld, das verfluchte Geld spucken sie Shakespearverse in Maschinen und versauen die Kunst. Da lob' ich mir jede Hur' auf der Straße! Vor der letzten hab' ich mehr Respeckt als vor diesen Affen, die ihre glatten Gesichter metergroß auf die Plakate picken lassen und sich Millionen scheffeln für das Verbrechen, das sie an der Kunst tun. Die das Wort verstümmeln, das lebendige Wort, und Shakespearverse in einen Trichter brüllen, statt das Volk zu erziehen und die Jugend zu belehren. Eine moralische Anstalt, so hat Schiller das Theater genannt, aber der gilt ja nicht mehr. Nichts gilt heut mehr, nur das Geld, das verfluchte Geld, und die Reklame, die einer mit sich zu machen versteht. Und wer's nicht verstanden hat, der krepiert. Aber besser krepieren, sag ich, für mich gehört jeder an den Galgen, der sich verkauft an dies verfluchte Hollywood! An den Galgen, an den Galgen!"

Aus "Phantastische Nacht" von Stefan Zweig aus 1922

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